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An den Gestaden von Chalderwallchan

Fantasy

Autor: Peter Wiebelt

 

ISBN 978-3-940209-39-9
Taschenbuch

367 Seiten
18,90 €

 

erschienen im NOEL-Verlag
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Mark Freier

 

FEUER!

Die letzte Erinnerung eines kleinen Jungen.

SCHMERZ!

Die erste Empfindung eines Heranwachsenden.

VERLUST!

Die quälende Gewissheit eines Erwachsenen.

Leseprobe:

 

Kapitel 1

I. Der Nachtwald

FEUER! Die letzte Erinnerung eines kleinen Jungen.
SCHMERZ! Die erste Empfindung eines Heranwachsenden.
VERLUST! Die quälende Gewissheit eines Erwachsenen.

Das Dorf brannte und alles, was für einen kleinen Jungen die Welt gewesen war, wurde innerhalb von nur wenigen Minuten vernichtet. 

Natas stand vor den Flammen und blickte ungläubig auf sein verwüstetes Dorf.
Mit seinen fünf Jahren konnte er das entsetzliche Bild, das sich ihm bot, nicht begreifen. Alles war verschwunden. Sein Heim. Der Dorfplatz. Seine Freunde. Sein Reich.
Die Frage nach dem ´Warum` war unwichtig und für ihn auch nicht fassbar.
Er spürte, wie eine Träne über seine Wange lief und von der Hitze der Flammen getrocknet wurde, bevor sie auf die verbrannte Erde gelangen konnte. 

Direkt vor ihm standen zwei Krieger und betrachteten fasziniert das feurige Spektakel, bis einer der beiden über seine Schulter schaute. „Da ist noch einer!“, knurrte er feindselig durch den stählernen Mundschutz seines Helms.
Der Soldat war riesig, jedenfalls für die Augen eines kleinen Jungen. Ein Schwert, beinahe so groß, wie er selbst, steckte in einem langen Lederhalfter auf seinem Rücken, unter einem mit spitzen Dornen besetzten Schild.
Der zweite Hüne wandte sich Natas zu, zog müde seinen Helm ab und starrte ihn mürrisch an. „Verschwinde!“, zischte dieser, doch Natas blieb stehen und wischte sich trotzig die Tränen vom Gesicht.
Der andere griff über die Schulter, zog sein Schwert aus der Scheide und richtete es auf Natas. “Zeugen sind unerwünscht, auch wenn sie kleine, mutige Knirpse sind, wie du!“
Unbarmherzig hieb er mit dem Schwert in Richtung des Jungen und hätte ihn auch getroffen, wenn nicht eine andere Klinge den tödlichen Weg gekreuzt hätte.
Die zwei Schneiden trafen sich mit einem lauten Klirren und Natas zuckte erschreckt zurück.
„Das Massaker muss ein Ende haben. Wir haben alle getötet. Es reicht! Ich bin es leid und mein Kopf dröhnt. Lass uns gehen!!“
„Die Herrin will keine Zeugen, ihr Befehl war klar und deutlich. Eine Missachtung wäre unser Tod!“
„Egal. Lass uns gehen. Der Kleine wird eh sterben, dafür werden schon die Hyronen sorgen!“, der unbehelmte Krieger winkte ab.
Hyronen! Natas erschrak und erinnerte sich an die geflüsterten Geschichten der alten Jäger, die er unerlaubterweise nachts durch die hellhörigen Wände der Hütte mitverfolgt hatte, von seltsamen, uralten Kreaturen, die tief in den Wäldern hausten, dort wo kein Lichtstrahl bis zu den knorrigen Wurzeln der Bäume vordringen konnte und ein diesiger Schleier den morastigen Boden verbarg.

Des Nachts wurden die schweren Holzpforten des Schutzwalles geschlossen, bewacht von den stärksten Männern des Dorfes, die schweigsam im Schutze der Dunkelheit verharrten und misstrauisch den mit Fackeln gesäumten Waldrand beobachteten.
„Nein!“ entgegnete der andere harsch und riss den Jungen aus seinen Gedanken, „niemand wird diesen Ort lebend verlassen, so wie es Muriel befohlen hat!“
Er erhob seine Waffe ein weiteres Mal, um das Kind mit all seiner Kraft niederzustrecken, doch bevor er den tödlichen Streich vollenden konnte, durchschnitt ein scharfes Pfeifen die verbrannte Luft, und das Haupt des Angreifers wurde trotz des Helm bis zu den Schultern gespalten.
Blut quoll aus dem zerschmetterten Schädel und ergoss sich über den Jungen, der zu Tode erschrocken einen Schritt zurückwich und erschüttert das feucht schimmernde Purpur auf seinen Armen betrachtete.
Der leblose Körper des Kriegers sackte langsam in sich zusammen und drohte Natas unter sich zu begraben, als ihn eine starke Hand packte und in die Höhe riss.
Da baumelte er, beide Beine in der Luft, blutüberströmt, bebend vor Angst, ein Bild des Elends.
Der Schlächter drehte den Jungen zu sich. „Du hast alles verloren, mein Kleiner, aber du verstehst es noch nicht!“, raunte der Krieger.
Natas schluckte und blinzelte ihn ungläubig an.
„Wir haben deine Eltern, deine Geschwister, deine Freunde und alles, was du kanntest, vernichtet und nur für das Hirngespinst einer alten Hexe!“
Der Söldner ließ Natas auf den Boden sinken und drehte sich um. „Ich werde jetzt gehen, tu was du willst!“ Er ging und ließ den zitternden Jungen zurück.
Es fing an zu schneien und dicke Schneeflocken, getragen durch leichten Ostwind, sanken friedlich auf die vom Frost gefangene Erde. Aber mit einem Idyll hatte dieses Inferno nichts gemein und eines wusste Natas genau, wenn die Flammen des brennenden Dorfes erloschen, würden entweder die Kälte oder die Hyronen seinen sicheren Tod bedeuten.
Langsam bewegte er seine vor Angst erstarrten Beine und fing an zu laufen.
Instinktiv folgte er den Spuren des Kriegers, die im frischen Schnee sichtbar und für ihn die einzige Möglichkeit waren, zu überleben.
Ein mächtiges Bein stampfte vor ihm auf den Boden und wirbelte eine Wolke aus Pulverschnee empor, wodurch er, kurzzeitig seiner Sicht beraubt, das Gleichgewicht verlor, mit zum Schutz erhobenen Armen einige Schritte nach hinten stolperte und schließlich schmerzlich auf den Rücken fiel.
Das Untier senkte sein Gesicht und zwei weit auseinander stehende, dunkle Augen blickten ihn misstrauisch an. Es hatte spitze Ohren und seine breite Stirn war mit einer filigran verzierten Platte geschützt. Ein grimmiges Schnauben ließ den Jungen zusammenzucken. Er richtete seinen Oberkörper auf und drückte sich mit beiden Beinen vom Boden ab, um sich von dem Tier zu entfernen. Es hatte vier lange, kräftige Beine und sein massiger Körper war mit demselben Material behangen,
wie die Stirn. Langsam senkte es den Kopf, während es mit einem Bein bedrohlich über den Frostboden scharrte.
„Ruhig, Sturm, Ruhig!“, flüsterte eine Stimme. Es war die Stimme seines vermeintlichen Retters.
„Hast du noch nie ein Pferd gesehen, Junge?“, tönte er verächtlich.
Natas schüttelte wild den Kopf, reden konnte er nicht, noch zu gefangen war seine Seele von den Ereignissen. Er rappelte sich auf und blickte trotzig zu dem Reiter empor.
„Verschwinde oder ich werde das Werk dieser alten Hexe doch noch zu Ende bringen!“

Der Junge blieb ungerührt stehen, wissend, dass sein Überleben von diesem Mann abhing.
Der Reiter straffte die Zügel und das Pferd machte eine Kehrtwendung.
Schnee wurde hoch in die Luft gewirbelt, das Tier bäumte sich auf und stampfte wild auf den Boden, bevor es in einem schnellen Galopp mitten im Nachtwald verschwand und mit ihm die Hoffnung eines Kindes.
Natas zögerte nicht, obwohl die Angst vor dem Nachtwald groß und die Geschichten über die Hyronen schrecklich waren. Er rannte los, mit dem Mut der Verzweiflung tauchte er in das Dunkel des Nachtwaldes ein und ließ das flammende und vermeintlich sichere Chaos hinter sich.
Die bittere Kälte zerrte am dünnen Körper des Jungen und jeder kleine Ast, der ihm entgegenschlug, war doppelt so schmerzhaft. Die lederumwickelten Füße brannten bei jedem Auftreten, während sich totes Holz und spitze Steine tief in die Sohlen bohrten.
Er lief um sein Leben, denn die Finsternis dieses Ortes konnte ihn jederzeit verschlingen.

Die uralten Baumriesen schienen nach ihm zu greifen, mit ihren gewaltigen Armen und aus dem Boden quellenden Wurzeln, versuchten sie in zu stürzen, aber Natas wich ihren hinterlistigen Angriffen und Fallen geschickt aus und bahnte sich seinen Weg durch das dichte Unterholz.
Das Blut an seinen zerschnittenen Händen, die er zum Schutz vor sich hielt, bemerkte er nicht.
Eine mondscheinhelle Lichtung am Ende des Dickichts brachte ihm eine Verschnaufpause. Beide Hände in die Seiten gepresst und keuchend blieb er auf der Wiese stehen. Er warf seinen Kopf in den Nacken. Seine Brust schien förmlich nach Sauerstoff zu schreien und sein Körper war kalt und taub.
Als seine Lungen ihren Durst gestillt hatten, der Puls langsamer wurde und sich der Schleier vor seinen Augen lichtete, schaute er sich um.
Die Grashalme schaukelten sanft im Wind und spielten mit den lautlos zu Boden fallenden Schneeflocken. Der Firn war jetzt schon einige Zentimeter hoch und das feuchte Leder bot keinen ausreichenden Schutz mehr gegen die eiskalte Nässe, die in seine Füße kroch und seine Zehen taub werden ließ. Er fröstelte und horchte in die Dunkelheit, aber kein vertrautes Geräusch kam ihm zu Ohren, nur das ferne Heulen eines Tieres, das er nicht näher in Augenschein nehmen wollte.
Alles schien friedlich, bis ein unvergleichlich scheußlicher Geruch ihm in die Nase kroch und er sich fast übergeben musste. Im selben Moment verstummte das einsame Mondklagen des unbekannten Geschöpfes und selbst das sanfte Raunen der Baumwipfel erstarb auf beunruhigende Art und Weise. Nur die feinen Schneeflocken fielen weiter auf den Boden, und der Wind hatte aufgehört unbeschwert mit den Halmen der Wiese zu spielen.
Ein markerschütternder Schrei riss Natas aus seiner Agonie und in seinem Augenwinkel bemerkte er eine Bewegung am Waldrand. Ein Schatten, der nur kurz aufflackerte, um sogleich wieder eins zu werden mit dem finsteren Gürtel, der sich um diese Aue zu legen schien.
Im  Schutze der Dunkelheit bewegte sich etwas, aber man konnte nicht genau sehen, was es war oder wie viele es waren.
Die Zeit schien still zu stehen. Der Junge kauerte auf der Lichtung und schloss die Augen, so - als könnte man ihn dann nicht sehen, während sein wacher Verstand in die Dunkelheit lauschte.
Etwas betrat mit einem leisen Knirschen die bereifte Wiese. Dem Jungen stockte der Atem, kalter Schweiß lief ihm über den Rücken. Das beunruhigende Geräusch folgte mehrmals hastig hintereinander und verstummte unmittelbar in seiner Nähe.
Der faulige Geruch, den er schon vorher wahrgenommen hatte, war nun um ein Vielfaches unerträglicher geworden und ein rasselndes Schnauben war zu hören, dessen widerliche Wärme man beinahe spüren konnte. Der Gestank raubte ihm den Atem und seine Augen waren so fest zusammen gepresst, dass Tränen hervortraten. Panische Angst fesselte ihn an den Boden und er konnte sich nicht rühren, geschweige denn aufstehen und weglaufen. Die Kreatur schien zu lauern und er konnte ihre gierigen Blicke spüren.

Lautes Geschrei ertönte am anderen Ende der Lichtung, und ein wildes Stampfen war zu hören, das schnell näher kam. Der Boden vibrierte. Natas fasste allen Mut, den er noch hatte und sprang auf, seine Glieder waren von der Kälte erstarrt und ein stechender Schmerz fuhr ihm durch den Rücken. Er öffnete die Augen und erblickte ein mit Fellen behangenes Etwas, das sich nun mannshoch aufrichtete und seinen dürren, bleichen Körper entblößte, dann wirbelte er herum und fing an zu laufen, wie der Teufel. Ein reißender Schmerz verlangsamte ihn, als sich eine scharfe Kralle in seine Rücken bohrte.
Es hatte ihn erwischt, aber er konnte noch laufen und dies tat er, wie niemals zuvor. Seine Füße wurden von tausenden Nägeln durchbohrt und seine Lunge war kurz davor zu explodieren, bis eine gemeine Wurzel seinen Fluchtversuch jäh beendete und sein Fuß mit einem lauten Knacken zurückgerissen wurde.
Der Junge schrie auf und das Etwas hinter ihm erwiderte den Schrei triumphierend. Sein Gesicht schlug hart auf den Boden und er verlor das Bewusstsein. Dunkelheit.

Sturm galoppierte auf die Lichtung. Sein Reiter saß, nach vorne gebeugt, im Sattel und gab dem mächtigen Hengst die Sporen. Der eiskalte Wind peitschte dem Mann ins Gesicht, als er sein Schwert vom Rücken zog und es drohend in die Luft hielt. Das Singen des Stahls erfüllte die Lichtung, gefolgt von dem Schrei eines Kindes.
Wolf sah den Jungen fallen und spornte Sturm noch mehr an, während er wild schreiend mit dem Schwert in der Luft auf die sich schnell nähernde Hyrone zuritt. Der Hengst ereichte den bewusstlosen Jungen zuerst und sprang mit einem gewaltigen Satz über ihn hinweg, landete mit donnernden Hufen auf der anderen Seite und setzte seinen wilden Galopp ungebremst fort. Wolf  beugte sich weiter nach vorne in den Nacken seines Pferdes und streckte sein Schwert hinter sich, um zu einem gewaltigen Schlag auszuholen.
Als er die keifende Hyrone erreichte, zog er die Zügel, Sturm bäumte sich auf und seine Hinterläufe schlitterten über den schneebedeckten Boden. Das alte Wesen richtete sich drohend auf und hob seine Klauen, seine schwarzen Augen blitzten und warteten auf den bevorstehenden Kampf. Wolf schleuderte die Klinge nach vorne und schlug der Kreatur mit einem einzigen Hieb den Kopf ab.
Der Körper der Hyrone klappte zusammen, während aus dem zerrissenen Hals eine Fontäne schwarzen Blutes schoss und ihr abgetrennter Kopf weit in die Lichtung geschleudert wurde. Wolf brachte sein Pferd zum Stehen und stieg ab.
Der Körper des alten Wesens peitschte und zappelte. Sein böses Blut dampfte in der Kälte der Nacht, und ein beißender Geruch erfüllte die Luft.
Die schwarzen Augen des abgeschlagenen Hauptes zuckten hektisch und starrten den Feind unverhohlen an. Wolf erwiderte den Blick ungerührt, bis die Kreatur das mit Reißzähnen bewährte Maul öffnete und entsetzlich zu schreien begann.
Der grelle Laut hallte weithin vernehmbar über die schwarzen Wipfel des Nachtwaldes.
Wolf packte sein Schwert fester und ging schnellen Schrittes auf den zuckenden Körper zu, immer bedacht, dem schwarzen Blut möglichst aus dem Weg zu gehen.
Er stellte sich über den Leichnam, holte aus und rammte seine Klinge direkt in dessen Herz. Der Schrei verstummte und Stille senkte sich wieder über die Lichtung. Wolf lief zu dem regungslosen Körper des Jungen und  beugte sich darüber.

„Die Jagd beginnt!“, murmelte er.

 

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